F. Brendle u.a. (Hrsg.): Geistliche im Krieg

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Titel
Geistliche im Krieg.


Herausgeber
Brendle, Franz; Schindling, Anton
Erschienen
Münster 2009: Aschendorff Verlag
Anzahl Seiten
448 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Annette Mertens, Kommission für Zeitgeschichte

Der Sammelband «Geistliche im Krieg» von Franz Brendle und Anton Schindling ist aus einer Fachtagung hervorgegangen, die im Februar 2008 im Rahmen des Tübinger Sonderforschungsbereichs 437 «Kriegserfahrungen – Krieg und Gesellschaft in der Neuzeit» stattgefunden hat. Für die Publikation wurden die Tagungsbeiträge durch einige weitere Arbeiten ergänzt, die im Kontext des SFB entstanden sind. Der Band enthält 19 Aufsätze, überwiegend von Tübinger Historikern und Theologen, und ist in fünf grössere Kapitel gegliedert: Am Anfang des Bandes stehen drei Beiträge einführenden Charakters unter der Überschrift «Die ‹Religionsdiener› und der Krieg». Es folgen, in chronologischer Reihenfolge, drei Kapitel, denen jeweils vier Fallstudien aus verschiedenen Epochen zugeordnet sind: «Katholiken und Protestanten im Religionskrieg (17. Jh.)», «Geistliche im Dienst des Vaterlandes (18.–19. Jh.)» sowie «Geistliche in den beiden Weltkriegen (20. Jh.)». Den Abschluss bilden vier Beiträge zu «Kriegserfahrungen am Rande der Christenheit (16.–18. Jh.)». Die Beiträge behandeln dabei verschiedene europäische Länder (hinzukommt ein Ausblick bis nach Paraguay) und beziehen neben den beiden christlichen Konfessionen auch das Judentum mit ein (M. Schad, Die bedrohten «Gottesgüter» in die neue, «deutsche» Zeit retten. Selig Schachnowitz und die orthodoxe jüdische Kriegsdeutung in Frankfurt am Main 1914–1918, 265ff.).

Der Sammelband leistet einen wichtigen Beitrag zu einem aktuellen Forschungsfeld, in dem das Verhältnis von Religion und Krieg im Mittelpunkt steht. Obwohl christlicher Glaube und religiöse Empfindungen im Leben vieler Menschen eine zentrale Rolle spielen, blieb die Frage nach deren Bedeutung im Kontext von Kriegsereignissen lange Zeit unterbelichtet. Selbst in den vermeintlich schon so erschöpfend erforschten Weltkriegen des 20. Jhs. klaffen hier noch grosse Forschungslücken

Eine zentrale These des Bandes lautet, das konventionelle Bild von «säkularisierten Kriegen» seit dem Zeitalter des Absolutismus müsse korrigiert werden (F. Brendle, 16). Die verschiedenen Beiträge zeigen beispielhaft, inwiefern Geistliche als Berater oder Sinnstifter, mittelbar oder unmittelbar auf vielfältige Weise am Kriegsgeschehen beteiligt waren und es beeinflussten, wie sie die kriegführenden Regierungen stärken, sie aber durch ihre Interpretation des Krieges auch gegen sich aufbringen konnten (z.B. P. Damgaard, Kriegsdeutungen der dänischen Geistlichkeit 1611–1660, 101ff.), und wie sie selbst durch das Kriegserleben in ihren Handlungsweisen und Äusserungen beeinflusst wurden (z.B. A. Strauß, Kollektive Kriegserfahrung preussischer Feldprediger. Vaterlandsliebe und Nutzbarkeitsgedanken in Handbüchern, 163ff.).

Hervorgehoben seien hier insbesondere zwei Beiträge, die in ihrem Erkenntniswert weit über einzelne Fallbeispiele hinausgehen:
Zunächst schlägt Andreas Holzem in seinem Beitrag «Geistliche im Krieg und die Normen des Kriegsverstehens. Ein religionsgeschichtliches Modell zu Ritual, Ethik und Trost zwischen militärischer Kulttradition und christlicher Friedenspflicht» (41ff.) einen weiten Bogen von den vorchristlichen Kulturen des Alten Orients bis hin zu den Weltkriegen des 20. Jhs., um durch einen religionsgeschichtlichen, vergleichenden Zugang «das Profil des Christentums zu schärfen», d.h. die spezifische Rolle christlicher Geistlicher im Kontext von Kriegshandlungen differenziert beschreiben zu können. Dadurch gelingt es ihm, einem in der Öffentlichkeit verbreiteten, holzschnittartigen Bild entgegenzutreten, nach dem die Geistlichen den Krieg rechtfertigen, aktiv in ihm mitwirken und für die Opfer des Krieges bereitwillig «den Trost der Religion» zur Verfügung stellen: «der Geistliche steht den Aufmärschen nicht im Weg – im Gegenteil.» Holzem stellt diesem Bild drei zentrale Thesen entgegen: Der Krieg brachte christliche Geistliche in eine höchst ambivalente Lage, da die christliche Religion Kriege keineswegs einseitig bejaht; er erweiterte in mehrfacher Hinsicht ihren Aufgabenhorizont; und schliesslich verknüpfte sich für die christlichen Geistlichen die Aufgabe, zum Krieg Stellung zu beziehen, in den ‹modernen› Kriegen zunehmend mit der schwierigen Frage nach der «Positionierung der Religion im institutionellen Gegenüber von Staat und Gesellschaft».

Annette Jantzen («Priester im Krieg. Elsässische und lothringische Geistliche im Ersten Weltkrieg und ihre Kriegsdeutung», 251ff.) kann anhand der Korrespondenz elsässischer und lothringischer Geistlicher, die am Ersten Weltkrieg unmittelbar beteiligt waren, mit ihren jeweiligen Generalvikariaten belegen, dass das Kriegserleben nicht zu einem grundsätzlichen Umdenken der Geistlichen bzw. zu einer Revidierung theologischer Positionen zum Krieg führte. In ihrem Resümee stellt sie fest, dass die Beteiligten den veränderten Charakter des Krieges zwar wahrgenommen, aber über kein Instrumentarium verfügt hätten, «diese neue Entwicklung theoretisch und theologisch aufzufangen.» Das habe dazu geführt, dass die Theologie sich von den Erfahrungen der Gläubigen weitgehend gelöst und auf wesentliche Fragen keine überzeugenden Antworten mehr habe geben können. Zu einer Neupositionierung der Theologie kam es erst nach dem Zweiten Weltkrieg.

Es ist das grosse Verdienst der Herausgeber, die Einzelstudien gesammelt zu haben, die bisher zu dem insgesamt noch unzureichend erforschten Thema «Geistliche im Krieg» vorliegen. Wünschenswert wäre lediglich ein zusammenfassender Beitrag gewesen, in dem der Versuch gemacht worden wäre, die Einzelbeiträge stärker miteinander in Beziehung zu setzen, übergreifende Schlüsse zu ziehen oder etwa vorläufige Antworten auf die eingangs gestellten Leitfragen zu formulieren. Dennoch wird der Band zu einer wichtigen Grundlage weiterer, übergreifender Forschungen zu diesem Thema werden. Dabei verdient es auch hervorgehoben zu werden, dass er – wie man es von Publikationen des Aschendorff Verlags gewohnt ist – hervorragend redigiert und lektoriert worden ist.

Zitierweise:
Annette Mertens: Rezension zu: Franz Brendle/Anton Schindling (Hg.), Geistliche im Krieg, Münster, Aschendorff, 2009. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 104, 2010, S. 519-520